Was ist Metaphysik? – Aristoteles und Kant im kritischen Vergleich


Engin Erkiner 


INHALTSVERZEICHNIS

1.       EINLEITUNG
2.       ARISTOTELISCHE METAPHYSIK
2.1.    Die erste Ursache
2.2.    Lehre von Seienden
2.3.    Arten der Wissenschaft
2.4.    Kategorienlehre
3.       METAPHYSIK VON KANT
3.1.    Erkenntnisarten und Urteilsarten
3.2.    Wie ist Metaphysik als Wissenschaft möglich?
3.3.    Die tranzendentale Philosophie
3.4.    Loux’s Kritik an Kant
4.      IST METAPHYSIK MÖGLICH?
4.1    Metaphysik als Kategorienlehre
4.2.   Metaphysik als die Erklärung der Möglichkeiten
5.      SCHLUSSFOLGERUNG
6.      LITERATURVERZEICHNIS


1. EINLEITUNG

In dieser Arbeit wird die Metaphysik von Aristoteles und Kant im Rahmen der Frage: “Was ist Metaphysik?” kritisch verglichen und es wird diskuttiert, ob die Metaphysik noch möglich ist. 

Aristotelische Metaphysik ist die Untersuchung der allgemeinen Strukturen der Wirklichkeit (des Seienden) und sie kann in zwei miteinander verknüpften Teilen erläutert werden: Die Untersuchung der ersten Ursache und die Wissenschaft des Seienden. In diesem Teil werden die Begriffe wie Substanz, Universale und Eigenschaft erläutert. 

Eine der besonderen Merkmale der aristotelischen Metaphysik ist die epistemische Zugänglichkeit des Seienden, die besonders mit Verknüpfung der speziellen Wissenschaften erläutert wird. Die Kategorizierung der Gegenstände ist eine wichtige Eigenschaft der aristotelischen Metaphysik, die auch als Kategorienlehre genannt wird. 

Kant hatte eine Änderung der Denkart und eine neue Definition zur Metaphysik durchgeführt. Es wird auch erwähnt, warum eine neue Definition nötig war. 

Die Metaphysik hatte nach ihrer Neugründung von Kant andere Eigenschaften als in der aristotelischen. Bei der neuen war die Welt nicht epistemisch zugänglich und in diesem Fall war nur die Kategorisierung des unsereren Denkvermögens möglich. Die Urteiltypen bei Kant und die tranzendentale Philosophie werden auch erläutert. 

Loux und Lowe kritisierten die kantische Metaphysik aus verschiedenen Anhaltspunkten und als gemeinsamer Punkt lehnten sie die Annahme, dass die Welt epistemisch unzugänglich ist, ab. Loux hatte die Auffassung, dass die Metaphysik als Kategorienlehre noch möglich war und Lowe reformulierte die Frage von Kant “Wie die Metaphysik ist möglich?” 

Nach der Erläuterung der Möglichkeit der Metaphysik endet die Arbeit mit einer Schluss-folgerung.

2. ARISTOTELISCHE METAPHYSIK

Aristotelische Metaphysik ist zweiteilig: Die Forschung der ersten Ursache und Wissenschaft des Seienden. Diese Metaphysik wird als Kategorienlehre bezeichnet.

2.1. Die erste Ursache 

Aristotelische Metaphysik erkennt das Ursache-Wirkung-Verhältnis. Was wir beobachten, hat die Ursachen und die Ursachen der Ursachen werden in der Vergangenheit erforscht. Es kommt ein bestimmter Punkt,wo es keine Vergangenheit mehr gibt. Hier befindet sich die erste Ursache, Ur-sache der allen weiteren Ursachen. 

Gleiche Denkweise kann auch anders durchgeführt werden: alles in der Welt bewegt sich und wer hat die erste Bewegung verursacht? 

Dieser Teil der aristotelischen Metaphysik beschäftigt sich mit der Existenz des Gottes. Existiert der Gott? Wenn ja mit welchen Eigenschaften? Dieser Teil kann auch als “Wissen-schaft des Gottes” bezeichnet werden. Da die Existenz des Gottes nicht verifizierbar, sogar falsifizierbar ist, ist diese “Wissenschaft” nur mit der Vernunft zugänglich. Es gibt keinen Be-weis im naturwissenschaftlichen Sinne darüber, ob der Gott existiert oder nicht.

“Unlike the other disciplines, it does not simply assume the existence of its subject matter; it must actually prove that there is an immaterial substance for it to be about:” 1

Diese “Wissenschaft” kann nur deduktiv sein, es geht vom allgemeinen zu einzelnem.

“… im höchsten Sinne wißbar aber sind die ersten Prinzipien und die Ursachen; denn durch diese und aus diesen wird das andere erkannt, aber nicht dies aus dem Untergeordneten.” 2

2.2. Lehre von Seienden 

Metaphysik ist die Untersuchung der allgemeinen Strukturen der Wirklichkeit.   Metaphysik ist die Wissenschaft als ganzes. 

Was ist eine Wissenschaft und wann kann sie entstehen? 

Die Wissenschaft stammt aus der Erfahrung, nur blosse Erfahrung reicht nicht aus. Die völlig aus verschiedenen Standpunkten wiederholten Erfahrungen formierten sich ein Wissen über ein bestimmtes Thema. Aristoteles nante den Mensch, der die akkumulierten Erfahrungen hat, als Künstler. Der Künstler kann lehren, weil er die Warum-Frage antworten kann. Die Aufgabe der Wissenschaft ist nicht die Interpretierung der blossen Erfahrung, sondern zu forschen, was dahinter steckt; die Wie- und Warum-Fragen zu beantworten; die Verbin-dungen aufzudecken.

“Die Prinzipien und Ursachen des Seienden, und zwar insofern es Seiendes ist, sind der Gegenstand der Untersuchung.” 3

Erste Philosophie oder die gesuchte Wissenschaft ensteht nur wenn die notwendige Be-dürfnisse des menschlichen Lebens versorgt werden, sonst der Mensch soll sich immer auf die Notwendigkeiten des Lebens kümmern. 4 Relative Freiheit von den Überlegungen ist nötig. Die gesuchte Wissenschaft ist für das Erkentnis um selbt willen, sie ist nicht anwendungs-orientiert. 

2.3. Arten der Wissenschaft 

“Es gibt eine Wissenschaft, welche das Seiende als solches untersucht und das demselben an sich zukommende. Diese Wissenschaft ist mit keiner der einzelnen Wissenschaften identisch…” 5

Alle anderen Wissenschaften befassen nur einen Teil des Seienden. “… die Arten des Seienden aber den Arten der Wissenschaft.” 6

Laut Aristoteles gibt es poietische Wissenschaften (wie Kunst und Technik), praktische Wissenschaften (wie Politik und über die Handlungen) und theoretische Wissenschaften wie Physik, Mathematik und Theologie. 

Obwohl die Physik und Mathematik betrachtende Wissenschaften sind, hat die erste Philosophie ihre eigene Besonderheit: “Denn die Physik handelt von untrennbaren, aber nicht unbeweglichen Dingen, einiges zur Mathematik gehörende betrifft unbewegliches, das aber nicht trennbar ist, sondern an einem Stoff befindlich; die erste Philosophie aber handelt von dem, was sowohl trennbar wie unbeweglich ist.” 7

Der Gott ist “unmoved mover”.

2.4. Kategorienlehre 

Die Substanz (Wesen) ist eine selbstständige Entität. Aristotelische Metaphysik versucht, alle Seienden unter einer Wissenschaft zu suchen. Die Kategorien sind die Grundformen der Seienden. Die Grundformen der Seienden und ihre Beziehungen zueinander werden in verschiedenen Kategorien zusammengestellt.

“(Metaphysics) seeks to understand not merely the concept of being, but also very general concepts like unity or identity, difference, similarity, and dissimilarity that apply to everything that there is. (…) (Categories) are the highest or most general kinds under which things fall.” 8

Aristoteles hat die Struktur der Wirklichkeit in zehn Kategorien klassifiziert. Die sind: Substanz, Quantität, Qualität, Relation, Wo, Wann, Lage, Haben, Wirken, Leiden. Eine Kategorie ist nicht von den anderen Kategorien ableitbar, wenn so ist, dann ist es nicht eine unabhängige Kategorie. Die Kategorisierung schafft die Ordnung und Hierarchie des Seienden. 

Bei der Kategorisierung existiert nur die Substanz selbstständig. Die Akzidenzen können nur mit einer Substanz existieren. 

3. METAPHYSIK VON KANT

Kant gründete die Metaphysik neu. Warum war so eine Unternehmung nötig? 

Die kopernikanische Revolution änderte die Stellung der Menschen im Kosmos. 

“… Überwindung des damals erkanntan, schon von Aristoteles und Ptolemäus vertretenen Weltsystems mit seiner geozentrischen Planetentheorie…” 9 führt auch zu einem geistigen Umbruch. Der Mensch bewertete seinen Platz im Kosmos neue. 

Fast 2000 Jahre dauernde aristotelische Lehre verliert seine überzeugende Kraft. 

Die Methode der Metaphysik ist nicht experimentel, sondern nur mit dem Vernunft durchführbar. Als der durch die Beobachtung seit Jahren vernünftig erscheinende Glaube wie „die Erde das Zentrum des Alls ist“ gescheitert war, wurden alle Ergebnisse, die aus der Vernunft kommen, mit Fragezeichen bewertet. Es gab keine heilige Wahrheit mehr. 

“Unser Zeitalter ist das eigentliche Zeitalter der Kritik, der sich alles unterwerfen muß. Religion, durch ihre Heiligkeit, und Gesetzgebung durch ihre Majestät, wollen sich gemeiniglich derselben entziehen.”  10  

Kant hat die Auffassung, dass Metaphysik unvermeidbar ist. Die Menschheit stellt aus ihrer Natur immer verschiedene unbeantwortbare Fragen wie ob der Gott existiert oder wie das Verhältnis zwischen Leib und Seele u.a. 

Um die schwierige Lage der Metaphysik zu ändern, führte Kant eine andere Denkart. Die Metaphysik erkennt keine experimentelle Methode, sondern nur Urteile aus der Vernunft. Die Metaphysik hat andere Methode als die Naturwissenschaft. Wenn die Vernunft in der Metaphysik so eine wichtige Rolle spielt, dann sollen nicht die Gegenstände in der Welt, sondern unsere Vernunftsvermögen untersucht werden. 

Kant hatte eine andere Erkenntnistheorie als Aristoteles. 

3.1.  Erkenntnisarten und Urteilsarten 

Die Differenzierung von Erkenntnis- und Urteilsarten von Kant sind: 

A priori (begrifflich) – Unabhängig von der Erfahrung. A priori Urteile ist syntetisch. 

A postariori (empirisch) – Mit der Erfahrung möglich. 

Analytisches Urteil: Das Prädikat ist im Subjekt enthalten. Dieses Urteil hat Identitäs-beziehung, eine Erläuterungsurteil und mit der Notwendigkeit zu tun.
Syntetisches Urteil: Das Prädikat ist ausserhalb der Subjekt, diese Art vom Urteil erweitert unsere Erkenntnis. 

3.2. Wie ist die Metaphysik als Wissenschaft möglich? 

Die Frage kann anders formuliert werden: Wie sind synthetische Urteile a priori möglich? 

Kant hat die Auffassung, dass dies die einzige Möglichkeit für die Metaphysik ist,  als Wis-senschaft zu existieren. 

Wenn die einzige Erkentnisquelle die Erfahrung ist, dann gibt es keinen Platz für a priori Urteile und die Metaphysik ist unmöglich. Kant lehnt nicht die Wichtigkeit der Erfahrung für das Erkenntnis ab, nur er hat die Auffassung, dass das Erkenntnis auch andere Quelle hat: die Vernunft. Kant änderte die Erkenntnisart damit die Metaphysik möglich ist.

“Bisher nahm man an, alle unsere Erkenntnis müsse sich nach den Gegenständen richten; aber alle Versuche über sie a priori etwas durch Begriffe auszumachen, wodurch unsere Erkenntnis erweitert würde, gingen unter diesen Voraussetzung zu nichte. Man versuche es daher einmal, ob wir nicht in den Aufgaben der Metaphysik damit besser fortkommen, daß wir annehmen, die Gegenstände müssen sich nach unserem Erkenntnis richten, welches so schon besser mit der verlagnten Möglichkeit einer Erkenntnis derselben a priori zusammen-stimmt, die über Gegenstände, ehe sie uns gegeben werden, etwas festsetzen soll.” 11

Kant hat die Auffassung, dass Kopernikus ähnliche Vorgehensweise hat. Er hat am Anfang gedacht, dass sich ganze Sternen um die Erde drehen, aber diese Feststellung passte nicht mit der Himmelbeobachtungen, dann er dachte andersum: die Sternen bleiben stil, die Erde dreht sich. 

Die Interpretation der kopernikanische Vorgehensweise von Kant ist fehlerhaft. Kopernicus korrigierte die Unstimmigkeit zwischen der Theorie (die Erde bleibt stil) und dem Ereignis aus der  Beobachtung des Himmels. Was er gemacht hat, ist kein a priori Wissen, sondern eine Korrektur. Möglicherweise hatte er verschiedene Korrekturmodelle versucht, bis er das korrekte fand. Von dieser Vorgehensweise kann kein Ergebnis gezogen werden, wie “die Gegenstände richten sich nach unserem Erkenntnis”.  Die Theorie über die Bewegung der Himmelkörper wurde durch die Vernunft und das Experiment korrigiert. Das bedeutet, dass die Gegenstände epistemisch zugänglich sind.

3.3. Die tranzendentale Philosophie 

Da das Erkenntnis tranzendentale ist, richten wir unsere Begriffe zu den Gegenständen. In diesem Fall geht es nicht um die Kategorisierung der Gegenstände wie im Fall von Aristoteles, sondern die Untersuchung unseres Vernunftvermögens. Unsere Begriffe werden kritisiert und korrigiert. Kant nannte diese Vorgehensweise als Kritik der reinen Vernunft. Es ist eine Wissenschaft, die sich nur mit der Vernunftvermögen beschäftigt, und untersucht die Begriffe des a priori Wissens. “Ein System solcher Begriffe, würde Transzendental-Philosophie heißen.” 12

Diese Wissenschaft hat mit sich selbst zu tun, ihr Zuständigkeitsgebiet ist die menschliche Vernunft und untersucht das Denkvermögen. Alle Fehlhaftigkeiten im Denkvermögen zu beseitigen ist wichtig, weil äußere Welt nicht zugänglich ist, aber nur unser Vernunft-vermögen. 

Diese Wissenschaft, die auch Kritik der reinen Vernunft heißt, hat keine Erweiterung unserer Erkenntnisse verursacht; sie hat sich nur mit der Vollständigkeit des Systems der reinen Vernunft beschäftigt.

Warum können wir unsere Vernunftvermögen wissen, aber warum hat dies keinen Zugang zur die weltliche Realität? Kant hatte keine überzeugende Erklärung.

3.4. Loux’s Kritik an Kant 

Wenn das Seiende epistemisch unzugänglich ist, und die Aufgabe der Metaphysik a priori wissen ist sowie die Untersuchung unserer Denkvermögen deswegen nötig ist, dann wird die Funktion der Metaphysik geändert. Transzendentale Philosophie beschäftigt sich nicht mit den Gegenständen in der Welt, sondern nur mit unserem Denkvermögen über die Welt. Hier steht ein enormer Unterschied.

“An inquiry into the structure of human thought is, however, something quite different from an inquiry into the structure of the world thought is about.” 13

Kantische Metaphysik ist eine Art des Idealismus und radikal unterschiedlich von der aristotelischen. Kant fuhr eine andere Erkenntnistheorie, dass die Außenwelt epistemisch unzugänglich ist. In diesem Fall ändert sich die Funktion der Metaphysik: nicht die Kategorisierung der Welt, sondern unserVernunftvermögen steht im Vordergrund. Durch diese Änderung werden die alten Probleme der Metaphysik abgeschafft, aber die neuen entstehen.

“So traditional metaphysicians will argue that if their conception of metaphysics is problematic, so is the schemer’s.” 14

4.  IST METAPHYSIK MÖGLICH?

Die Metaphysik ist aus den zwei Perspektiven möglich: als Kategorienlehre und als die Erklärung der Möglichkeiten.

4.1 Metaphysik als Kategorienlehre 

Aristotelische Metaphysik hat zwei Teile: Die Forschung der ersten Ursache und die Kategorisierung der Welt. Weil der erste Teil spekulativ ist (Forschung über die Existenz des Gottes), die Metaphysiker wie Loux konzentrieren sich auf den zweiten Teil. Laut Loux, die zentrale Aufgabe der Metaphysik ist die Erkennung der Kategorien der Gegenstände. Die Metaphysik ist ein Versuch, die Frage “Was es ist?” zu beantworten. Während der Katego-risierung der Gegenstände ist es möglich, dass neue Arten der Kategorisierung gefunden werden, wie statt “Universale”, die Tropen oder statt vier, ein Kategoriensystem. Trotz dieser Änderungen bleibt die Hauptaufgabe der Metaphysik unverändert.

“Aristotle believed that an account of this sort is the goal of the metaphysical enterprise.” 15

4.2. Metaphysik als die Erklärung der Möglichkeiten 

Lowe hat in seinem Buch “The Possebility of Metaphysics” die Auffassung, dass die von Kant gestellte Frage “Wie  ist die Metaphysik möglich?”,  neue gefragt werden soll. 16

Laut Lowe die Metaphysik hat eine breitere Funktion als die empirische Wissenschaft, die nur die Information über die aktuelle Lage gibt. Dagegen hat die Metaphysik ein tieferes Verständnis der Realität, weil die die Information über die Möglichkeiten hat. 

Lowe gab kein Beispiel dafür, aber ein bekanntes Exemplar ist wie folgende: 

Die Wissenschaftler akzeptieren, dass die Naturgesetze im ganzen Kosmos gleich sind. Was in der Welt als Naturgesetz gilt, gilt auch Millionen Lichtjahre entfernten Galaxien. Diese Annahme ist ein a priori Urteil. Im Rahmen der heutigen wissenschaftlichen-technischen Möglichkeiten kann niemand prüfen, ob es wirklich so ist. In diesem Fall ist die meta-physische Annahme, dass verschiedene Naturgesetze im Kosmos möglich sind, eine große Bedeutung. Ob es wirklich so ist, kann nur durch die wissenschaftliche Prüfung entschieden werden.

“How, then, are we to form rational judgements as to which of various metaphysically possible alternatives do actually obtain? In a word: by experience.” 17

Lowe fängt mit der kantischen Frage über die Metaphysik an, aber änderte die Vor-gehensweise von Kant. Am Ende kann nur durch die naturwissenschaftliche Praxis entschieden werden, welche Möglichkeit aktuelle Richtigkeit hat. 

5. SCHLUSSFOLGERUNG

In dieser Arbeit wurde die Metaphysik von Aristoteles und Kant kritisch verglichent und die Möglichkeit der Metaphysik untersucht. 

Aristotelische Metaphysik kann zwei geteilt werden und weil der erste Teil, Wissenschaft des Gottes, spekulativ ist, betrachten zahlreiche Metaphysikern besonders den zweiten Teil: Kate-gorienlehre. 

Die Kategorisierung der Gegenstände besteht ihre Wichtigkeit, weil der Mensch dadurch die Welt besser versteht. Di Beantwortung der Frage “Was es ist?” führt zur besseren Erkennung der Gegenstände und ihre Beziehungen miteinander. Im Laufe der Zeit haben wichtige Än-derungen in der Kategorienlehre stattgefunden wie Tropentheorie aber die Wichtigkeit der Kategorienlehre besteht weiter. 

Bei der aristotelischen Metaphysik ist die Welt epistemisch zugänglich, sonst die Kate-gorisierung der Gegenstände würde nicht möglich.

Kantische Metaphysik ist inhaltlich unterschiedlich. Laut Kant ist die Welt nicht epistemisch zugänglich, deshalb in der kantischen Metaphysik werden die Begriffe unseres Denk-vermögens kritisiert und kategorisiert. Kant hat die Wissenschaftlichkeit der Metaphysik mit der Möglichkeit der synthetischen Urteile verbunden. Diese Wissenschaft beschäftigt mit sich selbst, die Vernunftvermögen und nicht mit der Gegenständen in der Welt.

Kant’s Frage “Wie ist die Metaphysik möglich?” wurde später reformuliert. 

Die Metaphysik ist möglich, weil sie uns die Möglichkeiten eines Zustandes zeigen kann. Empirische Wissenschaft kann uns nur die aktuelle Zustand zeigen und in der Realität diese Zustand ist eines von mehreren. Welcher Zustand in den gegebenen Zeit und Raum real ist, nur durch das Experiment entschieden werden. 

Die Möglichkeit der Parallelwelten ist ein Beispiel. Unser Kosmos ist der einzige oder gibt es andere Kosmosen? Aktuell gibt es nur einen, nur die Möglichkeit der Parallelkosmosen besteht. Die Metaphysik kann die Möglichkeit neben der bestehenden zeigen und welche Real ist, wird nur durch das Experiment entschieden.

Die Metaphysik ist für die Kategorisierung der Gegenstände und die Erklärung der potenziellen Möglichkeiten einen gegebenen Zustandes möglich.

6.  LITERATURVERZEICHNIS

Aristoteles (2010): Metaphysik, Hamburg: Rowohlt.
Kant, Immanuel (2010). Kritik der reinen Vernunft, Stuttgart: Reclam.
Loux, Michael J. (2006): Metaphysics, New York: Routledge.
Lowe, E.J. (1999): The Possibility of Metaphysics, New York: Oxford University Press.
Tilo, Knapp (2008): Die Kopernakanische Wende, Berlin: LIT Verlag.


----------------------
1 J. Loux, Michael (2006): Metaphysics, New York and London: Routledge, 2-3.
2 Aristoteles (2010): Metaphysik, Hamburg: Rowohlt, 982 b. 
3 Ebenda, 1025b.
4 Aristoteles (2010), 981b.
5 Ebenda, 1003a.
6 Ebenda, 1003a. 
7 Ebenda, 1026a.
8 Loux J., Michael (2006): Metaphysics, New York and London: Routledge, 3. 
9 Knapp, Tilo (2008): Die Kopernikanische Wende, Berlin: LIT Verlag, 9.
10 Kant, Immanuel (2010): Kritik der reinen Vernunft, Stuttgart: Reclam, A XI-A XII. 
11 Kant, Immanuel (2010):  (B XVI-B XVII (1137)) 
12 Kant, Immanuel (2010), (B 25/A 11-B 26/A 12 (4311) 
13 Loux J., Michael (2006), 7.
14 Ebenda,  9.
15 Loux J., Michael (2006), 15.
16 Lowe, E.J. (1999): The Possibility of Metaphysics, New York: Oxford University Press, 1.
17 Ebenda, 22-23. 




LIBET-EXPERIMENT ZWISCHEN WILLENSFREIHEIT UND DETERMINISMUS


Engin Erkiner 


INHALTSVERZEICHNIS 

1. EINLEITUNG
2. HIRNFORSCHER UND DIE WILLENSFREIHEIT
2.1. Vermischung von Ursachen und Gründen
2.2. Ich- und dritte Person Perspektive
2.3. Beziehung zwischen Handlungen und Gehirnprozessen (Reduzierbarkeit und     Determinismus).
3. LIBET-EXPERIMENT
3.1. Das Ergebnis und Interpretationen des Experiments
3.2. Willensfreiheit durch das Vetorecht
3.3. Eine andere Interpretation des Experiments
3.4. Das Experiment und zerebralen Kategorienfehler
3.5. Libet-Experiment und Zeitinterval
3.6. Libet-Experiment beweist, dass es keine Willensfreiheit gibt
4. MYTHOS DETERMINISMUS
4.1. Mentale Ereignisse sind nicht isolierbar
4.2. Es gibt keinen eindeutigen Kausalitätsbegriff
4.3. Die Unkontrolierbarkeit der relevanten Faktoren während des Experiments
5. WAS FEHLT, IST DAS VERHÄLTNIS ZWISCHEN DEN BEWUSSTEN- UND UNBEWUSSTEN PROZESSEN IM GEHIRN  
6. SCHLUSSFOLGERUNG
7. LITERATURVERZEICHNIS


1. EINLEITUNG

Mit den enormen Entwicklungen in der Hirnforschung ist das Verhältnis zwischen Geistes-und Naturwissenschaften zerstört. Die Willensfreiheit ist seit Jahren ein Thema der  Hirnforschung, die ein Teil der Naturwissenschaft. Eine ihrer wichtigen Thesen behauptet, dass die Willensfreiheit eine Illusion ist. Die Hirnforscher wie Wolf Singer, Gerhard Roth und Wolfgang Prinz haben die Auffassung, dass mentale Phänomenen durch die natur-wissenschaftlichen Gesetze erklärbar sind. Der Geist ist nicht mehr ein alleiniges Thema der Philosophie, sondern auch der Naturwissenschaften. 

In dieser Arbeit wird die Debatte über die Willensfreiheit dargestellt und diskutiert. 

Die von der Dozentin formulierten Fragen dieser Arbeit sind: 

“Auf welche Weise versuchen Hirnforscher die Annahme in Frage zu stellen, Menschen seien frei? Wie soll Freiheit in den Libet-Experimenten experimentell untersucht werden und welche Schlussfolgerungen wurden daraus gezogen? Stellen Sie dar, wie Brigitte Falkenburg diese Experimente und die Interpretation ihrer Ergebnisse kritisiert. Finden Sie Frau Falkenburgs Einschätzung überzeugend? Begründen Sie Ihre Meinung.”

Die Fragen werden etappenweise beantwortet. Zuerst werden die Begrenztheit der Freiheit und die Art der Freiheit, die die Hirnforscher in Frage stellen, erläutert. Die Differenz zwischen Ursachen und Gründen, Ich- und dritte Person Perspektive, Davidsons Perspektive über die Beziehung zwischen Ursache und Handlung und wie diese von den Hirnforschern aufgehoben wurden? Die Hirnforscher haben die Auffassung, dass die Handlungen durch Gehirnprozesse erklärbar sind und dass diese zu den physikalischen Prozessen im Gehirn reduzierbar sind. 

Die folgenden Fragen werden beantwortet: Wie erklären die Hirnforscher das Verhältnis zwischen den bewussten und unbewussten Prozessen? Wie interpretieren die Hirnforscher das Libet-Experiment? Der Unterschied zwischen Benjamin Libet und den Hirnforschern bezüglich der Interpretation dieses Experiments wird erläutert. Was ist Veto-Recht und ihre Beziehung mit der menschlichen Freiheit? 

Das Libet-Experiment ist der Kernpunkt der Thesen der Hirnforscher über die Nichtexistenz der Willensfreiheit. Dieses Experiment und ihre Schlussfolgerungen werden dargestellt. 

Nach der Erläuterung der Falkenburgs Kritik an diesem Experiment wird diese Kritik kritisch bewertet. Mit der Schlussfolgerung endet diese Arbeit. 

2. HIRNFORSCHER UND DIE WILLENSFREIHEIT

Jeder Mensch wird in gewisser Weise durch ihre Sprache, geborene soziale Umgebung und ihre Gene vordeterminiert. Es gibt keine grenzenlose menschliche Freiheit. Der Mensch kann ihre Freiheit nur in begrenzter Form nutzen. 

Bewusste Handlung ist das Merkmal der Willensfreiheit.  Der Mensch entscheidet erst eine Handlung, dann praktiziert sie. 

Es scheint uns, als gingen unsere Entscheidungen unseren Handlungen voraus und wirkten auf Prozesse im Gehirn ein, deren Konsequenz dann die Handlung ist.”

Laut des Libet- Experiments formiert die Entscheidung für eine Handlung durch neuronale Bewegung im Gehirn (Bereitschaftspotenzial) kurz vor der bewussten Entscheidung. Roth zieht eine wichtige Konsequenz aus diesem Ergebnis: “Nicht mein bewußter Willensakt, sondern mein Gehirn hat entschieden!”

Das Libet-Experiment war wichtig aber es war nicht alles. Das Ergebnis des Experiments wurde aus verschiedenen Punkten kritisiert und die Hirnforscher verteidigten sich gegen die Kritiker für ihre Überzeugung, dass keine Willensfreiheit gibt. Das Experiment wurde in verschiedener Weise interpretiert und manche Kritiker fanden die Vorgehensweise der Hirn-forscher als “naiver Empirismus”.

Durch die Antworten an den Kritikern ist die Überzeugung der Hirnforscher umfassender geworden. Die wichtigen Kritikpunkten waren: Vermischung von Ursachen und Gründen, Ich- und dritte Person Perspektive, Beziehung zwischen Handlungen und Gehirnprozesse (Reduzierbarkeit und Determinismus).

2.1. Vermischung von Ursachen und Gründen

Laut der Philosophen vernachlässigen die Hirnforscher der fundamentale Unterschied zwischen Ursachen und Gründen. Sie begehen hier einen Kategorienfehler.  Die Kausalität gehört zur Natur aber die Handlung zu den Menschen. Der Hauptunterschied zwischen Handlung und Ursache ist die Intentionalität. Menschen wollen durch ihre Handlung ein Ziel erreichen. Die Handlung wird bewusst durchgeführt und es ist möglich, auch anders zu handeln. 

Roth lehnt die totale Trennung von Handlung und Kausalität ab und zitiert den Standpunkt von Davidson. 

Im Anschluss an den ‚klassischen’ Standpunkt Donald Davidson, dass Handlungs-erklärungen Kausalerklärungen sind.”

Diese Beziehung zwischen Kausalität und Handlung ist für die Verbindung der Gehirnprozessen und Handlungen wichtig. Die philosophischen Interpretationen der kognitiven Leistungen sind spekulativ und nicht beweisbar. Dagegen kann die Natur-wissenschaft (besonders Physik und Chemie) der Mechanismus der kognitiven Leistungen erklären. Bestimmte kognitive Leistungen haben direkte Verbindung mit den bestimmten Gebieten im Gehirn. Wenn bestimmte Teile des Gehirns zerstört werden (z.B. wegen eines Unfalls), fallen die entsprechenden kognitiven Leistungen wie Lernen, Erinnern, Konzentrie-ren aus oder funktionieren wenig. Hier steht eine direkte Verbindung zwischen den Ursachen (verletzte Gebiet) und den Leistungen des Gehirns. 

2.2. Ich- und dritte Person Perspektive

Der Mensch hat einen privilegierten Zugang zu den kognitiven Leistungen des Gehirns. Dieser Zugang ist nur aus der Ich-Perspektive möglich, sie sind nicht objektivierbar (erklärt durch dritte Person Perspektive) wie in der Naturwissenschaft.

Singer hat die Auffassung, dass diese Feststellung zur Vergangenheit gehört. Als psychisch bezeichnete Phänomene können mit naturwissenschaftlichen Methoden objektivierbar sein. 

“Darunter fallen wahrnehmen, Vorstellen, Erinnern und Vergessen, Bewerten, Planen und Entscheiden, und schließlich die Fähigkeit, Emotionen zu haben. Alle diese Verhaltens-manifestationen lassen sich operationalisieren , aus der Dritten-Person-Perspektive heraus objektivieren und im Sinne kausaler Verursachung auf neunorale Prozesse zurückzuführen.” 5

2.3. Beziehung zwischen Handlungen und Gehirnprozessen (Reduzierbarkeit und Determinismus).

Singer hat die Auffassung, dass deterministische Gesetze der physikochemischer Prozesse auch für Menschen gelten sollen, weil diese für die Gehirnfunktionen der Tiere gültig sind. Am Endeffekt können die Handlungen zu den deterministisch laufenden Prozessen im Gehirn reduziert werden. 6

3. LIBET-EXPERIMENT

Das Libet-Experiment kann als ein Versuch der Operationalisierung der Willensfreiheit bewertet werden. Um die Frage, ob der Mensch die Willensfreiheit hat, zu beantworten, soll ein geeignetes Experiment konstruiert und durchgeführt werden. Durch dieses Experiment soll die Frage beantwortet werden: „Wie sind die Aktivitäten von Nerverzellen im Gehirn mit bewusstem, subjektivem Erleben und mit unbewussten geistigen Funktionen verbunden?” 7

3.1. Das Ergebnis und Interpretationen des Experiments

Libet maß die Bereitschaftspotenzial (BP) im Kopf und Handlungsabsicht der Versuchperson. (Die geschichtliche Entwicklung des Experiments und die geniale Ausstattung werden hier nicht erwähnt.) 8 Das Ergebnis war: “Die Einleitung der frei gewollten Handlung scheint im Gehirn unbewußt einzusetzen, und zwar deutlich bevor die Person sich dessen bewußt ist, dass sie handeln will!” 9

Dieses Ergebnis hat gravierende Folgen für die Willensfreiheit, weil keine Alternative gibt. Die Willensfreiheit braucht die Wahlmöglichkeit zwischen den Handlungen. Wenn eine Handlung obligatorisch ist, d.h. im Gehirn schon (unbewusst) entschieden wurde, dann gibt es keine Willensfreiheit.

Aus dem Libet-Experiment wurden verschiedene Schlussfolgerungen gezogen.

3.2. Willensfreiheit durch das Vetorecht

Libet’s Experiment hatte zwei wichtige Ergebnisse: Die Existenz des Unbewussten und ihr Funktion im Handlungsprozess. Durch das Experiment wurde die Existenz des Unbewussten experimentell bewiesen. Seit Anfang des 20. Jahrhunderts war diese Existenz schon in der Psychoanalyse bekannt, nur experimentell nicht verifiziert. Die unbewussten Prozesse im Gehirn funktionierten schneller als das bewusste. 

“Die Einleitung der frei gewollten Handlung scheint im Gehirn unbewusst einzusetzen, und zwar deutlich bevor die Person sich dessen bewusst ist, dass sie handeln will!” 10

Libet hat die Auffassung, dass unbewusster Wille gestoppt werden kann. Entscheidet die Person schon für eine Handlung unbewusst, denkt aber später, dass diese Handlung nicht in Ordnung ist, dann wird der Handlungsprozess durch bewussten Willen abgebrochen. Libet hat diese Geschehen beim Experiment beobachtet:

“Wir konnten jedoch zeigen, dass die Versuchspersonen eine Handlung unterdrücken konnten, die zu einem vorher festgelegten Zeitpunkt stattfinden sollte.” 11

Obwohl das BP schon existiert, kann die Handlung abgebrochen werden. Das bewusste Veto hat eine Kontrollfunktion, d.h. wenn eine unbewusste Entscheidung sozial unakzeptabel ist, kann sie durch ein bewusstes Veto geändert oder gestoppt werden.

Libet zog die Schlussfolgerungen: Dieses Ergebnis stimmt mit den religiösen und ethischen Mahnungen überein. Die Selbstkontrolle der Menschen bringen die unbewusst gewollten aber gesellschaftlich ungeeigneten Handlungen unter Kontrolle. Dies bedeutet, dass es die Willensfreiheit gibt. Der Mensch kann zwischen verschiedenen Handlungen wählen. Obwohl dieser Wahlprozess im Rahmen der existierenden Möglichkeiten begrenzt ist, existiert die Willensfreiheit.

3.3. Eine andere Interpretation des Experiments

Helmrich hat die Auffassung, dass das Experiment anders interpretiert werden kann. 

“Die eigentliche Entscheidung, bei einem Experiment innerhalb einer kurzen Zeitspanne von maximal drei Sekunden mit einem Finger auf einen bestimmten Knopf zu drücken, winr bereits gefält, wenn sich die Versuchsperson bereits erklärt, an dem Experiment entsprechend der Versuchsanleitung teilzunehmen.” 12 

Helmrich betrachtet die Handlung während des Experiments (mit einem Finger auf einen bestimmten Knopf zu drücken) nicht kurzfristig, sondern als ein Prozess. Die Zeitspanne zwischen der Vorbereitung und Durchführung der Handlung ist deutlich länger als ein paar Sekunden. Was von Libet gemessen wurde, war nur der letzte Teil der Handlung. 

“Die von Libet u.a. gemessenen Teilaspekte sind nur ein kleiner Ausschnitt aus dem Gesamt von Handlungsentscheidung und Ausführung.” 13 

Helmrich akzeptiert, dass ein Veto die Durchführung der Handlung stoppen kann und gibt einen täglischen Beispiel: Wie kann ein Ladendieb je nach der Lage seine Meinung im kurzen Zeitspanne ändern? Er will etwas stehlen, aber nicht sicher ob er beobachtet wird und er ändert seine Meinung ständig. 

Helmrich verteidigt die Existenz der Willensfreiheit.

3.4. Das Experiment und zerebralen Kategorienfehler 

Obwohl er namentlich nicht erwähnt wurde, kritisierte Schockenhoff das Libet-Experiment für die Vernachlässigung der Intentionalität. Libet und Neurowissenschaftler verwechselten die Wer-Frage (Wer handelt?) mit der Was-Frage (Was geschieht?). Sie wollten zwei verschiedene Kategorien zu einem reduzieren. 

“Neurowissenschaftliche Theorien wollen menschlische Handlungen als eine Unterart der Klasse natürlicher Ereignesse begreifen, ohne dass sie eine Erläuterung dafür geben, warum dies so ist?” 14 

In diesem Fall ist das Bewußtsein nicht das Ergebnis der Forschung, sondern der Aus-gangspunkt. 

“Eine wissenschaftliche Theorie, die mentale Phänomene aus neuronalen Gegebenheiten erklären möchte, ist selbt ein mentales Phänomen, denn der Vorgang des wissenschaftlichen Erklärens spielt sich im Bewußtsein ab.” 15 

Es wird einfach vergessen, dass Libet-Experiment auch eine Handlung ist. Wie diese Hand-lung zustande kommt und durchgeführt wird,  kann nicht erklärt werden.

3.5. Libet-Experiment und Zeitinterval

Libet untersuchte die Handlungen, die sehr kurzfristig und motorisch waren. Die Handlungsdauer zwischen Absicht und Ausführung beträgt einige Sekunden und Handlung-sart war eigenartig. Die waren nicht die übliche Handlungen der Menschen. 

Walde hat die Auffassung, dass Handlungen wie Urlaubsplanung, Planung eines Verbrechens oder individuelle Berufswahl, bei denen Absicht und Ausführung zeitlich weit auseinander liegen, untersucht werden sollen.  Walde glaubte nicht, dass so eine Untersuchung durch-führbar ist. 

“Unter gewöhnlichen Laborbedingungen ist es wahrscheinlich kaum realisierbar, Intentionen und Handlungen mit großem zeitlichen Abstand zueinander zu studieren.” 16 

Wenn es gültig wäre, würde das Experiment uns nur einen kleinen Bruchteil der Handlungen erklären. Es hat keine allgemeine Gültigkeit.

3.6. Libet-Experiment beweist, dass es keine Willensfreiheit gibt

Singer, Roth und Prinz bewerteten das Libet-Experiment als einen Beweis gegen die Willesfreiheit. 

“Der Interpretation des Libet-Versuchs zufolge findet eine Entscheidung früher im Gehirnals im Bewußtsein einer Person statt. Das kann nur bedeuten, dass unser bewußter Willensimpuls so etwas wie ein Ratifizieren einer Entscheidung ist, die das Gehirn schon getroffen hat: Ich will, was ich tue.” 17 

Es gibt einige Unterschiede zwischen den Hirnforschern über die Interpretation des Experiments. Prinz hat die Auffassung, dass das Experiment sehr engen Zeitrahmen hat und dass es ungewiss ist, wie weit das auf andere Situationen schließen kann. 
Die anderen Argumentationen der Hirnforscher gegen die Willensfreiheit wurden schon erwähnt. 

4. MYTHOS DETERMINISMUS 

Brigitte Falkenburg schrieb ein umfassendes Buch mit dem Titel „Mythos Determinismus“ über die Hirnforschung und das Libet-Experiment. Sie hat die Kriterien des Experiments kritisiert. Ihrer Auffassung nach ist es ungewiss, was Libet gemessen hat. 

Nach den Kriterien der experimentellen Methode, (…) ist schlicht und einfach völlig unklar, was Libet eigentlich genau gemessen hat.” 18 

Sie begründet ihre Bewertung unter vier Punkten: 

4.1. Mentale Ereignisse sind nicht isolierbar

Das Libet-Experiment ist ein naturwissenschaftliches Experiment mit dem Bewußtsein. Es gibt eine Beziehung zwischen den neuronalen Aktivitäten im Gehirn und der Ausführung der bestimmten Aufgaben durch die Versuchsperson. Sie gibt die entsprechende Information über ihr Erleben während des Experiments. 

Naturwissenschaftliche Experimente können isoliert werden. Im Libet-Experiment kann die Versuchsperson gegen die äußere Einflusse isoliert werden, nur Bewusstseinskomponenten können nicht isoliert und einzel bewertet werden. Das Gehirn funktioniert als Ganzes, ein Ereignis in einem bestimmten Teil des Gehirns gehört nicht nur diesem Teil, sondern dem ganzen Gehirn. Bewussten und unbewussten Entscheidungen sind voneinander nicht trennbar. Die Bewertung, dass unbewusste Entscheidung der bewussten vorgeht, ist nicht haltbar, weil das Unterschiedskriterium zwischen den bewussten und unbewussten nicht haltbar ist. 

“Die Gehirnfunktionen und Bewusstseinskomponenten der Versuchspersonen lassen sich aber nicht isolieren. Hier sind die Experimente der Hirnforschung auf kausale Analysen ange-wiesen, die sehr unterschiedlichen Charakter haben können.” 19 

4.2. Es gibt keinen eindeutigen Kausalitätsbegriff

“Der neuronale Determinismus behauptet, dass die neuronale Aktivitäten des Gehirns unsere mentalen Leistungen vollständig determinieren, weil alles, was wir bewusst erleben, durch das physische Gehirngeschehen verursacht ist.” 20 

Laut den Hirnforschern gibt es eine klare Kausalität im Libet-Experiment: Die Ursache ist die durch die neuronalen Aktivitäten formierte BP und die Wirkung ist die bewusste Entscheidung. Falkenburg erklärte in ihrem Buch, dass der Kausalbegriff ein vorwissen-schaftliches Konzept war. Sie zitierte das empiristisches Kausalitätsverständnis von David Hume: “Der Eindruck einer notwendigen Verknüpfung beruht nur auf Gewöhnheit.” 21   Das Verhältnis zwischen Ursache und Wirkung ist nicht gesetzmäßig, sondern regelmäßig. Weil die Natur kausal nicht geschlossen ist, gibt es nur probabilistischen Determinismus. Falkenburg zeigte Exemplare nicht nur von der Quantenmechanik, auch von der Thermo-dynamik und den biologischen Prozessen. 

Libet-Experiment zeigte, dass es eine Korrelation zwischen physischen und mentalen Phänomenen gibt und nicht mehr. Diese zwei verschiedenen Phänomene können nicht ge-meinsam gemessen werden (Inkommensurabilität). 

4.3. Die Unkontrolierbarkeit der relevanten Faktoren während des Experiments

Die Experimentatoren vernachlässigen einige kausale Faktoren während des Experiments, die nicht relevant sind.  Für die Idealisierung der Ergebnisse des Experiments werden sie vernachlässigt. Der gleiche Prozess gilt nicht für die neurowissenschaftlichen Experimenten. Für das Libet-Experiment werden die kausalen relevanten Faktoren nicht kontrolierbar. 

“Wer sagt, dass Sie in einem Reiz-Reaktions-Experiment dasselbe erleben und die Knöpfe auf dieselbe Weise drücken, wenn Sie gerade aus dem Urlaub kommen, Ärger mit Ihrem Chef haber oder unausgeschlafen sind und zwei Tassen Kaffee mehr getrunken haben als sonst?” 22 

5. WAS FEHLT, IST DAS VERHÄLTNIS ZWISCHEN DEN BEWUSSTEN- UND UNBEWUSSTEN PROZESSEN IM GEHIRN  

Falkenburg kritisierte das Libet-Experiment und die Interpretation über dessen Ergebnisse: Kausalität ist ein vorwissenschaftlicher Begriff, mentale Phänomene sind nicht isolierbar sowie die naturwissenschaftlichen und eine physischen Phänomen können nicht mit den mentalen zusammen gemessen werden (Inkommensurabilität). Weiterhin kritisierte Sie die Nicht-Idealisierbarkeit der mentalen Phänomene. Die Unterschiedlichkeit zwischen den Natur- und Geisteswissenschaften steht als Mittelpunkt in ihrer Kritik. 

Was besonders fehlt, ist das unbewusste Phänomen im Gehirn. Obwohl Sie erwähnte, dass das Kriterium für die Unterscheidung zwischen den bewussten und unbewussten Phänomenen im Gehirn nicht eindeutig ist, diskussierte Sie nicht das Verhältnis zwischen den Beiden. 

Das wichtigste Ergebnis des Libet-Experiments ist, dass unbewusste Entscheidung für eine Handlung zeitlich der bewussten Entscheidung vorausgeht. Das Verhältnis zwischen den  bewussten und unbewussten Phänomenen im Gehirn, nämlich ob sie voneinander unterscheidbar, sogar unabhängig sind, sind bei der Bewertung des Libet-Experiments wichtig. 

Das Thema Unbewusste war ziemlich neue und erst am Anfang des 20. Jahrhunderts von Sigmung Freud wissenschaftlich vorgestellt worden. Danach hat ein wichtiger Meinungs-unterschied zwischen Freud und Carl Gustav Jung über das Unbewusste und dessen Ver-hältnis mit dem Bewussten stattgefunden. Laut Jung stehen die unbewussten und bewussten Phänomenen im Gehirn immer im gegenseitigen Verhältnis, d.h. sie sind nicht voneinander unabhängig. Die bewussten und unbewussten Phänomene im Gehirn ändern sich ständig und sie sind gegeneinander abhängig. Dass eine unbewusste Entscheidung für eine Handlung zeitlich der bewussten vorgeht, kann deshalb nicht als Ergebnis des Libet-Experiments angenommen werden, weil diese zwei untrennbar sind. 

Es ist Merkwürdig, dass sich weder Falkenburg noch andere Kritiker des Libet-Experiments  über diesen wichtigen Streitpunkt in der analytischen Psychologie geäußert haben. 23

6. SCHLUSSFOLGERUNG

In dieser Arbeit wurde die Diskussion über die Willensfreiheit dargestellt und kritisch bewertet. Im Zentrum dieser Diskussion steht das Libet-Experiment und es wurde von zwei verschiedenen, nämlich  naturwissenschaftlichen und interdisziplinären Perspektiven be-wertet. 

Aus der naturwissenschaftlichen Bewertung stehen die Ergebnisse des Libet-Experiments im Zentrum. Die Ergebnisse zeigen, dass unbewusste Handlungsentscheidung vor der bewussten steht und dass die Versuchsperson will, was er schon unbewusst entschieden hat. Es gibt eine kausale Beziehung zwischen der BP und der Entscheidung für die Handlung. Die Entscheidung kann auf die neuronale Prozesse im Gehirn reduziert werden. 

Natur-und Geisteswissenschaftliche Bewertungen sind nicht einheitlich aber sie haben einige gemeinsame Feststellungen: mentale Ereignisse können nicht auf neuronale Aktivitäten im Gehirn reduziert werden; sie sind nicht isolierbar wie die naturwissenschaftlichen Phänome-nen; die Kausalität ist ein vorwissenschaftlicher Begriff; das Libet-Experiment ist selbst eine mehrstufige Handlung. 

Die Hirnforscher vermischen zwei verschiedene Aspekte: wenn ein bestimmtes Gebiet im Gehirn krank ist, können einige geistliche Funktionen wie Lernen, Konzentrieren, Erinnern zerstört werden. In diesem Fall gibt es eine kausale Beziehung zwischen dem zerstörten Teil und der Fehlfunktionen. Diese Beziehung kann nicht mit den anderen Beziehungen wie die Entstehung der BP und die Entscheidung für eine Handlung gleichgesetzt werden. 

Die Diskussion über die Willensfreiheit hat zwei wichtige Ergebnisse:

Erstens: Die Geltung der naturwissanschaftlichen Experimente mit dem Bewusstsein soll vorsichtig bewertet werden. Das Libet-Experiment hat gezeigt, dass nicht nur die Ergebnisse, sondern deren Interpretationen wichtig sind.

Zweitens: Die Hirnforschung ist eine interdisziplinäre Forschung, d.h. die Ergebnisse sollen von verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen bewertet werden. Diese Interdisziplinität beinhaltet nicht nur Naturwissenschaft (besonders Physik und Chemie) und Philosophie, sondern auch die Psychologie. Die Beziehung zwischen den bewussten und unbewussten  Entscheidungen ist das Hauptergebnis des Libet-Experiments und die Beziehung ist seit ca. 100 Jahren ein Thema in der analytischen Psychologie und leider keiner der Wissenschaftler-innen bemerkte das, es so ist. 


________________

1 Singer, Wolf: Verschaltungen legen uns fest, in: Christian Geyer (Hg.): Hirnforschung und Willensfreiheit, 8. Auflage, Frankfurt a.M. 2013, S. 33.

2 Roth, Gerhard: Worüber dürfen Hirnforscher reden – und in welcher Weise, in: Christian Geyer (Hg.): Hirnforschung und Willensfreiheit, 8. Auflage, Frankfurt a.M. 2013, S. 73.

3 Kaiser, Gerhard: Warum noch debattieren? Determinismus als Diskurskiller, in: Christian Geyer (Hg.): Hirnforschung und Willensfreiheit, 8. Auflage, Frankfurt a.M. 2013, S. 264.

4 Singer, Wolf: Verschaltungen legen uns fest, in: Christian Geyer (Hg.): Hirnforschung und Willensfreiheit, 8. Auflage, Frankfurt a.M. 2013, S. 82 und Davidson, D. (1963), „Actions, Reasons, and Causes“, in: The Journal of Philosophy 60, S. 685-700.

5 Singer, Wolf: Verschaltungen legen uns fest, in: Christian Geyer (Hg.): Hirnforschung und Willensfreiheit, 8. Auflage, Frankfurt a.M. 2013, S. 34.

6 Ebenda, S. 37.

7 Libet, Benjamin: Mind Time – Wie das Gehirn Bewusstsein produziert?, Frankfurt a.M. 2007, S. 55.

8 Libet, Benjamin: Haben wir einen freien willen?, in: Christian Geyer (Hg.): Hirnforschung und Willensfreiheit, 8. Auflage, Frankfurt a.M. 2013, S. 268-74).

9 Ebenda, S. 276.

10 Libet, Benjamin: Haben wir einen freien willen?, in: Christian Geyer (Hg.): Hirnforschung und Willensfreiheit, 8. Auflage, Frankfurt a.M. 2013, S. 276).

11 Ebenda, S. 277.

12 Helmrich, Herbert: Wir können auch anders: Kritik der Libet-Experimente, in: Christian Geyer (Hg.): Hirnforschung und Willensfreiheit, 8. Auflage, Frankfurt a.M. 2013, S. 94.

13 Ebenda, S. 95.

14 Schockenhoff, Eberhard: Wir Phantomwesen. Über zerebrale Kategorienfehler, in: Christian Geyer (Hg.): Hirnforschung und Willensfreiheit, 8. Auflage, Frankfurt a.M. 2013, S. 168.

15 Ebenda, S. 168.

16 Walde, betine: Ein Fingerschnipsen ist noch keine Partnerwahl, in: Christian Geyer (Hg.): Hirnforschung und Willensfreiheit, 8. Auflage, Frankfurt a.M. 2013, S. 150.

17 Prinz, Wolfgang: Der Mensch ist nicht Frei. Ein Gespräch, in: Christian Geyer (Hg.): Hirnforschung und Willensfreiheit, 8. Auflage, Frankfurt a.M. 2013, S. 22.

18 Falkenburg, Brigitte: Mythos Determinismus, Heidelberg-Berlin, 2012, S. 191.

19 Falkenburg, Brigitte: Mythos Determinismus, Heidelberg-Berlin, 2012, S. 168.

20 Ebenda, S. 267.

21 Ebenda, S. 271.

22 Falkenburg, Brigitte: Mythos Determinismus, Heidelberg-Berlin, 2012, S. 178.


23 Jung, C.G.: Die Beziehungen zwischen dem ich und dem Unbewussten, München, 2014.