WALZERS THEORIE DES GERECHTEN KRIEGES UND TERRORISMUS


1. EINLEITUNG

In dieser Arbeit wird Walzers Theorie des Terrorismus und deren Interpretation in verschiedenen Fallbeispielen kritisch erläutert. 

Walzer definiert Terrorismus nicht als einen bewaffneten Kampf, sondern als fehlerhafte Verhaltensweise während des Krieges sogar bewaffneten Kampfes. Dieses Bewertungs-kriterium für Terrorismus ist bemerkenswert, weil viele Staaten und internationale Organisationen den bewaffneten Kampf immer mit dem Terrorismus gleich setzen. Walzer bewertet den bewaffneten Kampf als eine bestimmte Form des Krieges und interesiert sich nicht für die Form der Aktionen (wie Attentat), sondern für die Frage, ob bestimmte Kriegsregeln eingehalten werden. Wenn ja, die Aktion kann nicht als terroristisch bezeichnet werden. 

Um Walzers Theorie des Terrorismus zu erläutern, ist eine Einführung in die realistischen und moralistischen Theorien des Krieges nötig. Welche Inhalt haben diese Theorien und wie wird die moralistische Theorie formuliert? In dieser Textabschnitt wird auch die Methode von Walzer präsentiert. Danach werden Walzers verschiedene Beispiele über die nicht-terroristische und terroristische Aktionen kritisch erläutert. Die Frage dieses Textabschnitts ist, ob das Walzers Unterscheidungskriterium für eine terroristische Aktion immer genügende Erklärungskraft hat?

Am Ende der Arbeit steht eine allgemeine Schlußfolgerung.

2. REALISTISCHE THEORIE DES KRIEGES

Die Moraltheorie des Krieges thematisiert das problematische Verhältnis zwischen dem Krieg und der Moral. Die Hauptfrage ist, ob bestimmte moralischen Regeln im Krieg bestehen sein soll? Als Antwort auf diese Frage stehen vom Anfang an zwei Hauptströmungen, die heute noch die Diskussion über die gerechten und ungerechten Kriege beeinflussen. 

Laut die realistische Theorie des Krieges, tragen die Kriegsakteuren keine Verantwortung.

“Der Krieg ist eine eigene Welt, in der das Leben selbst auf dem Spiel steht und die menschlische Natur auf ihre elementarste Form reduziert wird; Eigeninterresse und das Gebot der Stunde lassen alles andere als unwesentlich erscheinen. In dieser Welt des Krieges tun Menschen, was sie tun müssen, um sich selbst und ihre Gemeinschaften zu retten – Moral und Gesetz haben dabei keinen Platz.” (Walzer 1982: 23)

Was für die realistische Theorie des Krieges wichtig ist, ist der Sieg im Krieg. Was für den Sieg nötig ist, ist erlaubt. 

Befürwörter der realistischen Theorie des Krieges bewertet die Menschen als moralisch zweiteilig.  Im normalen Leben haben die Menschen moralische Werte, die nicht konsistent sind. Unter aussergewöhnlichen Bedingungen –wie Krieg- verschwindet die Moral und die Menschen reduzieren sich zu ihrer elementarsten Form: ein Lebewesen ohne Moral. Was wichtig ist, ist weiter zu leben und alles ist erlaubt, um diesen Ziel zu erreichen. 

Gleiche Argumentation gilt für die Kriegsursachen. Es gibt keine Regel für gerechte und ungerechte Kriegen, sondern Rationalisierung der staatlichen Vorteilen. 

“Ethische Begründungen außenpolitischer Entscheidungen und zumal solcher über die Anwendung von militärischer Gewalt sind lediglich Rationalisierungen, deren Zweck es ist, innenpolitische Unterstützung zu mobilisieren. (…) Gefordert ist nicht Moralität, sondern Klugheit, d.h. die Fähigkeit, die für die Erhaltung und Sicherung der eigenen nationalen bzw. staatlichen Existenz zweckmäßigsten Maßnahmen zu erkennen und umzusetzen.“ (Mayer 2005: 20)

Dagegen befürwortet Walzer eine Moraltheorie des Krieges. Diese Theorie kennt auch aussenordentliche Situationen nur im Rahmen der moralischen Normen. 

3.  MORALTHEORIE DES KRIEGES

Walzers Kritik an der realistischen Theorie des Krieges fängt von einem bekannten Historiker und seiner Werk an: Thukydides und die Geschichte des Peloponnesischen Krieges.  Die Diskussionen zwischen den Athener Generalen waren wichtig, weil Thomas Hobbes nach Zweitausend Jahren das Buch von Thukydides übersetzte und seine Gesellschaftstheorie in Leviathan mit gleichen Argumentationen formulierte: jeder denkt nur an sich und kämpft für sich. 

Walzer erzählt nicht nur die realistische Denkweise der Generalen, sondern differenzierte die Haltung des Volkes. Obwohl die Generalen ein realistisches Kriegskalkul für die Vernichtung der Männer eines Volkes hatten, bedauerte das Volk für die Massacre. 

“Es war keine herausragende Athener Persönlichkeit, sondern die Bürgerschaft insgesamt, die den Beschluß ‘bereute’, die Männer von Mytilene zu töten (…).” (Walzer 1982: 39)

Walzer zieht eine wichtige Schlussfolgerung aus diesem historischen Beispiel: Verhaltensweise der Soldaten während des Krieges bestimmt nicht von der Soldaten, sondern von der Gesellschaft sogar von der Menschheit. Es gibt keine isolierte Kriegsmoral.

“Hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang, daß die moralische Realität des Krieges nicht von den Handlungen der Soldaten bestimmt wird, sondern von der Meinungen der Menschheit; und dies bedeutet unter anderem, daß sie von Philosophen, Anwälten und Publizisten aller Art beeinflußt und geformt wird (…)” (Walzer, 1982: 39)

Wie ensteht diese moralische Realität? Laut Walzer gibt drei Wege für die Entstehung der Moralphilosophie.

4. DREI WEGE IN DER MORALPHILOSOPHIE

4.1. Religiöse Moral 

Erste moralische Theorie der Menschheit sind die verschiedene Religionen. Jede Religion hat moralische Regeln für das Individuum und die Gesellschaft. 
In diesem Fall ist die Moral eine Schöpfung des Gottes und der Prophet ist der Entdecker. Er hat die Heilige Schriften vom Gott zu der Gesellschaft offenbart. Er hat nichts erschöpft, sondern entdeckt. 

Jede Heilige Schrift hat eine Geschichte. Am Anfang der Schrift hat eine gewisse Distanz zu der gesellschaftlichen Moral und kritisiert ihre Aspekten. Wenn es keine gewisse Distanz gäbe, dann hätte es keine Originalität und kaum Einfluß in der Gesellschaft. 

In der Zeit verliert die Heilige Schrift ihre Originalität, weil sie die Moral der Gesellschaft bestimmt. Sie hat ihre kritische Kraft verloren. Heilige Schrift ist unveränderbar, weil sie Gottes Wort ist, nur es gibt zahlreiche Interpretationsmöglichkeiten. 

Ein Reformer in der Religion interpretiert den gleichen Text anders als die bestehende Interpretation von den religiösen Autoritäten. Der Reformer ist kein Prophet, er hat keine neue Schrift vom Gott erhalten sondern schon bestehende Schrift neue interpretiert. 

Religiöse Moral ändert sich durch Interprationen.

4.2. Moral als Entdeckung 

Wegen des großen Vorschritt in den Naturwissenschaften und der immer klarer gewordenen Unbeweißbarkeit des Gottes sowie der Konflikte zwischen den Religionen ist eine göttliche Offenbarung nicht mehr überzeugend. Religionen haben noch betrachtliche Einfluß über die Menschheit, doch sie haben keine  gemeinsamen aber sondern widersprechenden moralischen Regeln (wie zwischen dem Christentum und dem Islam). 

Wenn die Religion nicht mehr als Grundlage einer Moral genommen wird, ist eine neue Basis für die moralische Dimension der Menschheit nötig. 

Utilitarismus und Interpretation der bestehenden moralischen Prinzipien sind zwei Lösungsmöglichkeiten.

Utilitarismus basiert sich über die Imitation der naturwissenschaftlichen Methoden in der Moralphilosophie. Die Gesetzen der Natur bestehen schon und erwarten entdeckt zu werden, wie die objektive Moralprinzipien. Laut Walzer führt diese Methode zu keinem überzeugenden Ergebnis, weil schon bestehende Moralprinzipien noch einmal entdekt werden. 

“Jeremy Bentham war offenkundig der Meinung, eine Reihe objektiver Moralprinzipien entdeckt zu haben; und die Anwendungen dieser Prinzipien sind allzu oft überhaupt nicht mehr als Merkmale des alltäglichen Lebens (wieder)zuerkennen.” (Walzer 1993: 16)

4.3. Moralphilosophie als Interpretation 

Wir leben schon in einer moralischen Welt, als Ergebnis der langjährigen Erfahrungen, Irrtümer, Verboten und Versuchungen. Walzer hat die Auffassung, dass die Moralvorstellungen entweder erfunden noch entdeckt werden sollen. Sie sind bereits einen beträchtlichen Teil des gesellschaftlichen Lebens. Es geht nicht um die Erfindung oder Entdeckung, sondern das Interpretieren, Kritisieren und Systematisieren. In der Realität gibt es nur einen Weg in der Moralphilosophie.

“… daß die Vorstellungen, die wir entdecken und erfinden, letzten Endes stets der Moral, die wir bereits besitzen, erstaunlich ähneln – und immer ziemlich ähnlich ausschauen werden. Die philosophische Entdeckung und Erfindung (die göttliche Offenbarung lassen wir hier beiseite) sind verkleidete Interpretationen; es gibt also in Wirklichkeit nur einen Pfad in der Moralphilosophie”. (Walser 1993: 30)

Der Weg in der Moralphilosophie ist ähnlich wie die Reformation in der Religion: Die Prinzipien werden nicht entdeckt, sondern schon bestehende neue interpretiert. Die Neue stimmt nicht ganz mit den Bestehenden überein und kritisiert die alte Regelung. 

Jede neue Interpretation der bestehenden religiösen sogar moralischen Prinzipien ist in der Realität eine neue Systematisierung der Existierenden und eine Kritik zu der gesellschaftlichen Verhältnisse. Ansonsten hat die Interpretation wenig Sinn, weil sie in vielen Aspekten die bestehende Realität nochmal produziert. 

Als eins von vielen Beispielen kann die Reformbemühung im Islam betrachtet werden. Seit Jahren wird im Islam über die Frauenrechte gestritten. Es gibt widersprüchliche Texte über die Frauen im Koran. Einerseits wird die Frau dem Mann untergeordnet, andererseits es gibt einige Privilegen für Frauen. Wenn die entsprechenden Textabschnitte im Koran neue interpretiert werden, werden die Passage gegen die Frauenrechte untergeordnet und dagegen die Privilegen im Vordergrund gestellt. 

Eine neue Interpretation ist eine neue Strukturierung und auch die Kritik an der gesellschaftlichen Verhältnisse. Moralphilosophie existiert nicht in einem leeren Raum, sondern immer in Verbindug mit anderen gesellschaftlichen Aspekten.

“Wichtig ist ihm (M. Walzer) dabei letztendlich der Nachweis, daß den moralischen Begriffen, welche die Alltagssprache den Bürgerinnen und Bürgern zur Verfügung stellt und die deren moralische Wahrnehmung prägen, eine politische Bedeutung zukommen kann.“ (Krause-Malowitz, 1998: 37)

Diese methodische Vorgehensweise wird für die Theorie der gerechten und ungerechten Kriege umgesetzt.

5. GERECHTE UND UNGERECHTE KRIEGE

Gerechte und ungerechte Kriege stehen im Bereich der angewandten Ethik, d.h. sie haben bestimmte Regeln während des Krieges und diese sind zu praktizieren. 

Diese Regeln werden nicht entdeckt oder erfunden, sondern aus den zahlreichen geschichtlichen Beispielen interpretiert und systematisiert. 

Die moralische Wirklichkeit des Krieges ist zweigeteilt: das Recht zum Krieg (Jus ad bellum) und die Gerechtigkeit im Krieg (Jus in Bello). 

Diese Theorie lehnt Passifismus und gesetzlose Gewalt ab. 

Krieg ist ein großer Gewaltakt. Die Theorie der moralischen Wirklichkeit des Krieges beschäftigt sich mit den Fragen: Wann ist der Krieg unvermeidbar, sogar nötig? Wie soll die Verhaltensweise während des Krieges sein? 

Die zwei Aspekten der moralischen Wirklichkeit des Krieges sind unabhängig voneinander. Wer in einem Bereich einen gerechten Krieg führt, kann in anderen Bereich ungerecht sein.

5.1. Recht zum Krieg 

Kriege sind unter bestimmten Bedingungen erwünscht und das Recht zum Krieg stellt diese Bedingungen fest. Krieg ist erlaubt, wenn er aus einem gerechten Grund geführt, wie für die Wiederherstellung des Friedens, Verteidigung gegen eine Invasion, um einen Völkermord zu stoppen oder um einen Gefahr gegen die internationale Ordnung zu beseitigen. 

Was hier besonders wichtig ist, dass jede einzelne Situation separat untersucht werden soll.
Die Internationale Strafaktionen sogar militärische Verhinderung des Völkermords werden normalerweise -aber nicht immer- von der UNO oder dem Sicherheitsrat entschieden.

“Ein Krieg ist lediglich in zwei Fällen gerechtfertigt: als Selbstverteidigung in Reaktion auf einen bewaffneten Angriff und wenn der Sicherheitsrat der UNO eine kollektive Sicherungsaktion für die Wahrung des internationalen Friedens autorisiert.” (Stoecker- Neuhäuser- Raters (Hrsg.),  375) 

5.2. Gerechtigkeit im Krieg 

Gerechtigkeit im Krieg beschäftigt sich nicht mit der Frage, ob ein Krieg recht oder unrecht hat. Die Entscheidung für den Krieg gehört zu den Politikern. Die Berufssoldaten haben wenig Einfluß darüber. Sie tragen keine Verantwortung für den Krieg. Offiziere und Soldaten tragen die Verantwortung nur während des Krieges mindestens in ihren zuständigen Gebieten.
Die wichtigste Regel der Gerechtigkeit im Krieg ist die Schützung der Zivilbevölkerung, die auch in der Genfer Konvention steht.

“Die Zivilbevölkerung genießt ein Recht auf Immunität, d.h. sie darf nicht Gegenstand direkter Angriffe sein oder mit solchen bedroht werden.“ (Art. 51/5) ((Stoecker- Neuhäuser- Raters (Hrsg.),  376) 

In der Praxis ist es oft ziemlich schwierig, eine klare Trennlinie zwischen Soldaten und Zivilisten (Kombatanten und Nicht-Kombatanten) zu ziehen. In den klassischen Kriegen tragen die Kombatanten eine Uniform, die für die Unterscheidung zwischen Soldaten und Zivilisten extrem wichtig ist. Das ist nicht der Fall im Guerillakrieg, den ich später erläute. 

Nicht alle Zivilisten haben ein Recht auf Immunität. Wenn einige Zivilisten in einer Munitionfabrik arbeiten und deshalb etwas für den Krieg produzieren, kann ein Angriff auf diese Fabrik nicht als Angriff auf Zivilisten betrachtet werden. Obwohl die Arbeiter keine Soldaten sind, sind sie ein Teil des Krieges.

“Wir bemühen uns, einen Trennungsstrich zwischen denjenigen zu ziehen, die wegen ihrer mit dem Krieg zusammenhängenden Aktivitäten ihre Rechte verloren haben, und denen, wo dies nicht der Fall ist.“ (Walzer 1993: 216)

Die Gerechtigkeit im Krieg beinhaltet auch ein geeignetes Zweck-Mittel-Verhältnis d.h. mit dem “Gewalt sparsam vorzugehen“ und “so unverzüglich und billig wie möglich einen Sieg zu erringen.“ (Walzer 1993: 194) Dieses Verhältnis kann auch als Vermeidung von dem unnötigen Blutvergiessen bezeichnet werden. 

Eine andere Regel der Gerechtigkeit im Krieg ist die richtige Behandlung der Kriegsgefangenen. Sie haben Immunität und dürfen nicht mißhandelt werden.

6. GUERILLAKRIEG

Der Guerillakrieg stellt die Kriegsregeln in Frage: “Der Sinn dieser Regeln liegt ja eben darin, jedem Individuum eine einzige Identität zuzuschreiben: entweder ist es Soldat oder Zivilist.” (Walzer 1993: 261)

Guerillas sind beides, weil sie keine Uniform tragen und ihre Waffen sind versteckt. Guerillas haben keine besonderen Merkmale, die zeigen, dass sie auch Kombatanten sind. In diesem Fall ist die Unterscheidung zwischen Zivilisten und Soldaten fast unmöglich. 

Walzer unterscheidet zwei Stufen im Guerillakrieg. Am Anfang ist die Unterstützung des Volkes niedrig. Die militärischen Aktionen der Guerillas richten sich nicht gegen die Zivilisten, sondern gegen das Militär, bestimmte Personen im Regierungsapparat und ihre Kollaborateuren. Walzer stellt die Frage ob Guerillas wie die Soldaten Immunität haben, wenn sie gefangen genommen werden? Die Soldaten tragen keine Verantwortung für den Krieg, wenn sie nicht gegen die Kriegsregeln stössen. Bei den Guerillas ist es nicht der Fall. Sie führen keinen Krieg gegen die Zivilisten, aber ihr Kampf gegen die Soldaten ist kein “normaler Krieg“. 

In der ersten Stufe des Krieges haben Guerillas keine Immunität, wenn sie Gefangen genommen werden. Sie tragen die Verantwortung für ihre bewaffneten Aktionen und werden möglicherweise als Kriminelen behandelt. 

Wenn Guerillas die breite Unterstützung des Volkes haben, dann sind die Uniformen überflüssig. Guerillas representieren ganzes Volk und die Regierung oder ausländische Truppen kämpfen nicht gegen eine bewaffnete Organisation wie früher, sondern gegen das Volk. In diesem Fall, laut Walzer, soll der Kampf aus zwei Gründen eingestellt werden. 

Der Krieg kann nicht gewonnen werden, weil der Gegner die Unterstützung des Volkes hat. 

Der Krieg kann nur gegen Zivilisten weitergeführt werden. In diesem Fall ist der Krieg nicht mehr gerecht und soll eingestellt werden. 

Walzers bekanntes Beispiel ist der Vietnam-Krieg. Als Vietkong die Unterstützung des Volkes hatte, sollte der Krieg nicht weitergeführt werden (Walzer 1993: 284).

7. TERRORISMUS

Walzer unterscheidet zwei Arten des Terrorismus: Staatsterrorismus und Terrorismus der Gruppen sogar der Organisationen. Besonderes Merkmal der beiden Typen des Terrorismus ist der Krieg gegen Zivilisten. 

Laut Walzer, das besondere Merkmal der terroristischen Aktivität ist die Zufälligkeit der Tötung der unschuldigen Menschen. Nicht individuelle sondern kollektive Identität ist wichtig. Ein Mensch wird getötet, nicht weil er mit einem repressiven Regime identifiziert ist, sondern weil er bestimmter Gruppe gehört. Der Unterschied ist nicht zwischen den Zivilisten und Soldaten, sondern zwischen den Zivilisten mit einer bestimmten Identität (d.h. Zivilisten mit einem Regime, einer Partei oder einer Politik identifiziert werden) und den Zivilisten mit einer kollektiven Identität. Es geht um den Tod der Christen, Juden, Fransozen etc., nicht den Tod der bestimmten Personen aus diesen Gruppen. 

7.1. Terrorismus der Staaten 

Diese Strategie der kollektiven Identität -der Krieg gegen Zivilisten- wurde massenhaft erst während des Zweiten Weltkrieges praktiziert. London wurde mit der Luftwaffe und Raketen von dem Nazi-Regime, sowie deutsche Städten von den britischen und amerikanischen Luftwaffen bombardiert. Atombombe an Hiroschima und Nagazaki waren andere Beispeile. 

Vor dem Zweiten Weltkrieg wurde der Gegner durch die Vernichtung der Armee zur Kapitulation gezwungen. Danach wurde diese Strategie mit der Terrorizierung der Bevölkerung kombiniert. Dahinter stand der Gedanke, dass die demoralizierte Bevölkerung ihre Regierung zur Kapitulation zwingt.

“In der Geschichte der Kriegsführung gibt es kaum Entscheidungen, die größeres Gewicht besitzen als diese. Als unmittelbares Ergebnis der Politik der Terrorbombardierungen, die die Verantwortlichen in Großbritannien beschlossen, wurden etwa 300.000 Deutsche, von denen die meisten Zivilpersonen waren, getötet, und etwa 780.000 schwer verwundet.“ (Walzer 1993: 363)

Mit dieser Entscheidung wurde die Grenzen der gerechten Krieg ausgesetzt, die Kriegskonvention war ausgeschlossen. Grund dafür war der Notfall. Nationsozialistische Herrschaft war eine große Bedrohung für die menschlischen Werte, deshalb NS-Sieg sollte mit allen Mitteln verhindert werden. 

Militärische Notwendigkeit hat eine legitimatorische Funktion. Neue Normen werden gefordert, wie die Notwendigkeit den Krieg gegen die Zivilisten zu führen.  Diese Normen sind theoretisch begrenzt in der Zeit aber oft nicht richtig praktiziert. Krieg gegen die Zivilisten um NS-Sieg zu verhindern hatte bis 1942 einen Grund. Aber die Bombardierung der Städte dauerte bis 1945 an, obwohl die Notwendigkeit schon vorbei war. 

Die Entscheidung der britischen Regierung lösste eine Kettenreaktion aus. Präsident Truman hat auch die Kriegsregeln ausgesetzt und einen Krieg gegen japanische Zivilisten geführt. Eine Geleitskala wurde angewandt, um den Weg für utilitarische Berechnungen zu öffnen. 

Da der Angriff auf Pearl Harbor und die Misshandlung der amerikanischen Kriegsgefangenen eine Vergeltungsaktion rechtfertigten sowie da die japanische Armee keinen gerechten Krieg führte, wurden zwei Atombomben zu Hiroshima und Nagazaki geworfen, um die Qual des Krieges zu verkürzen. 

Die waren keine moralische Entscheidungen. Wenn eine Situation durch die Gleitskala bewertet wird, gibt wenig Platz für moralische Argumente sogar Pirinzipien des gerechten Krieges. 

7.2. Terrorismus der Organisationen 

Diese Strategie wurde erst nach dem Zweiten Weltkrieg durch die revolutionären Organisationen praktiziert. Krieg gegen die Zivilisten war nicht die Erfindung der Revolutionäre sogar Terroristen, sondern diese Strategie war schon ein Bestandteil des konventionellen Krieges geworden. 

Walzer bewertet die Berufsrevolutionäre und Terroristen unterschiedlich. 

Berufsrevolutionäre, die wie die Offiziere einen Ehrenkodex –bestimmte Regeln- für den Krieg haben, dürfen nicht als Terroristen ernannt werden. Sie machen Attentate gegen bestimmte Personen, aber keine wahllosen Morde. 

Walzer ernannt verschiedene Beispiele: 

- Ein russischer Revolutionär plante, einen hohen Beamten des Zaren zu töten, aber kurz vor der Aktion sah er zwei Kinder neben dem hohen Beamten und warf die Bombe nicht weg. 

- Manchmal in einer Bombenaktion wurden die Passanten getötet. Obwohl die Aktionen sorgfalt geplant wurden, konnte solche Unfälle passieren. Das war der Fall bei der Bombenaktion von IRA. Niemand von der IRA bewertete diese Aktion als ein Erfolg. 

- Im Jahr 1944 wurde ein englischer Staatsminister in Kairo von zwei Mitgliedern einer zionistischen Gruppe ermordet. Die beiden Täter wurden von einem ägyptischen Polizist gefaßt, weil sie den Polizist nicht erschießen wollten. Ägypten war damals ein unabhängiges Land und der Polizist hatte keine Verbindung mit dem britischen Imperialismus. 

Diese Vorgehensweise war fragwürdig. Zwei Militanten haben keine Aktion gegen einen unbeteligten (ägyptischen Polizist) durchgeführt, nur als der Polizist sich in der Sache involvierte, hat sich die Lage geändert. Für die zwei Militanten war die Folter, langjährige Haftstrafe sogar Execution zu erwarten. In diesem Fall war es legitim, sich zu verteidigen. Sie müssten nur den Polizist von den Konsequenzen warnen. Wenn der Polizist geschossen worden wäre, würde diese Aktion nicht gegen einen unbeteiligten durchgeführt. 

-  Walzer rechtfertigt die Attentäte gegen bestimmten Personen, die mit einer Regierung, einem Staat identifiziert sind. Hochrängige Beamter dürfen mit einfachen  Bürgern nicht gleichgesetzt werden.

“Die Kriegeskonvention und der politische Kodex sind ähnlich aufgebaut, und die Differenzierung zwischen Beamten und Bürgern ist das Gegenstück zu der Unterscheidung zwischen Soldaten und Zivilisten. (…) Was beiden zugrunde liegt und beide glaubwürdig erscheinen läßt, so meine ich, ist der moralische Unterschied zwischen Ziel-sein und Nicht-Ziel-sein – oder besser gesagt, zwischen dem Zielen auf bestimmte Menschen, weil diese bestimmte Dinge getan haben oder tun, und dem wahllosen Zielen auf Menschen, einfach, weil diese sie selbst sind. Die erste Art des Zielens ist in einem begrenzten Kampf, der sich gegen ein Regime oder eine Politik rechtet, zulässig.“ (Walzer 1993: 289)

- Die Attentatswelle des Vietkongs 

Zwischen 1960 und 1965 wurden etwa 7500 Amtsträger auf den Dörfer- und Kreisebenen durch Attentaten von Vietkong-Kämpfern ermordet. Walzer diskutierte über diese grose Zahl, aber akzeptierte, dass Vietkong eine klare Grenzlinie zwischen den Amtsträgern und dem Volk sah. Vietkong darf nicht als eine terroristische Organisation bezeichnet werden, weil er einen klaren politischen Kodex hatte.

7.3. Rechfertigung des Terrorismus 

Der Terrorismus wurde nicht nur von der Terroristen, sondern von manchen Philosophen gerechtfertigt. Walzer kritisierte ein berühmtes Beispiel: das Vorwort von Jean Paul Sartres zu Fanons Buch: “Die Verdammten der Erde”.

“Einen Europäer zu erschießen, bedeutet, zwei Fliegen mit einer Klape zu schlagen: einen Unterdrücker und den Mann, den er unterdrückt, gleichzeitig zu vernichten; übrig bleibt ein toter und ein freier Mann.” (Fanon 1981: 24)

Walzer kritisiert:

- Es gibt kein eins-zu eins Verhältnis d.h. jeder Algerier kann nicht einen Franzosen töten, um sich zu befreien, weil es nicht genügende Fransozen im Land gab.

- Ist es nicht wichtig, welche Franzosen zutrifft?

Die Attentäten gegen die hochrängigen Offiziere, sogar gegen die Beamten, sind für Walzer akzeptabel, nur um politischen Kodex für den gerechten Krieg zu bewahren. Eine klare Grenzlinie zwischen den Verantwortlichen des Kolonialregimes und den unschuldigen Franzosen ist nötig. Das algerische Volk hatte enorme Gewaltpotential wegen der intensiven Ausbeutung und des kolonialistischen Staatsterrorismus: Aber die Revolutionäre dürfen sich nicht ähnlich verhalten. Sondern müssen sie den politischen Kodex des Krieges bewahren. 

- Walzer kritisierte das Vorwort von Sartre, aber äußerte sich nicht über das Buch von Fanon. Ein der wichtigen Thesen des Buches ist nicht identisch mit Sartres Äußerung über die Gewalt. 

Die Gewaltausübung gegen die Kolonialisten hat eine heilende psychologische Wirkung für die kolonisierten Menschen. Es geht um allgemeine Gewalt, nicht nur Tötung.

- Es ist fragwürdig, ob in Algerien eine Grenzlinie zwischen den Kolonialisten und den unschuldigen Franzosen überhaupt möglich war. 

Ich will nicht die Besonderheiten des französischen Kolonialismus behandeln, aber kann nun erwähnen, dass Algerien keine normale Kolonie war. Das Land wurde als ein Teil von Frankreich betrachtet und die in Algerien lebenden Franzosen hatten eine obligatorische Beziehung mit dem kolonialen Regime.

8. SCHLUßFOLGERUNG

In dieser Arbeit wurde Walzers Theorie des gerechten Krieges und Terrorismus dargestellt. Die Rolle der Interpretation in der Moralphilosophie, Ehrenkodex des Krieges, das Kriterium für die Unterscheidung zwischen gerechten Krieg und Terrorismus wurden erläutert. Walzer bewertet den bewaffneten Kampf nicht automatisch als Terrorismus, sondern differenziert die revolutionäre Organisationen von den terroristischen. Unterscheidungskriterium ist die Haltung gegen die Zivilisten. 

Walzer bezeichnet einige Nationale Befreiungsorganisationen und andere Art von Organisationen als terroristisch, aber erkennt auch den Staatsterrorismus. Er bezeichnete die Bombardierung der deutschen Zivilbevölkerung von der britischen Regierung und die Abwerfung der Atombomben über Japan als terroristische Aktionen.

Walzers Theorie des gerechten Krieges und Terrorismus kann aus zwei Punkten ergänzt wird: 

Erstens: Terrorismus und partikularistische Normentwicklung. Alle Menschen leben in den zahlreichen moralischen Welten, die sich voneinander stark unterscheiden. Terroristische Gruppen haben auch stark partikulistisch Normen, die meistens von der anderen ähnlichen Gruppen nicht anerkannt sind. Wie werden diese Normen entwickelt?  Wie funktioniert die Legitimation, um den Krieg gegen die Zivilisten zu führen?

Zweitens: Die Lage in den Kolonien soll genauer untersucht werden. Eine Feststellung für eine Kolonie bedeutet nicht, dass es auch für anderen gültig ist. Algerien war eine besondere Kolonie von Frankreich. 

9. LITERATURVERZEICHNIS

Fanon, Frantz: Die Verdammten dieser Erde, 1982, Frankfurt a.M.
Krause, Skadi; Malowitz, Karsten: Michael Walzer, 1998, Hamburg
Stoecker, Ralf; Neuhäuser Christina; Raters, Marie-Luise (Hrsg.): Handbuch Angewandte Ehtik, 2011, Stuttgart-Weimar
Walzer, Michael: Gibt es den gerechten Krieg?, 1982, Stuttgart
Walzer, Michael: Kritik und Gemeinsinn, 1993, Frankfurt a.M.
Walzer, Michael: Erklärte Kriege – Kriegserklärungen, 2003, Hamburg